Dokumentarfilm: The Artist & The Pervert

Liebe und Kunst haben viele Formen und Farben.

 

Ohne Erzähler, ohne einordnenden Kommentar lässt THE ARTIST & THE PERVERT von Beatrice Behn & René Gebhardt vor allem seine Prota­gonisten selbst zu Wort kommen: Mollena Williams-Haas und Georg Friedrich Haas. Die afro­ameri­ka­nische Sexual­pädagogin, Autorin und Per­formerin und der renom­mierte öster­reichische Komponist suchten 40 Jahre lang nach dem richtigen Partner, nun leben sie glücklich und offen in einer BDSM-Beziehung. Sie ist 24 Stunden, sieben Tage die Woche seine „Sklavin“ und Muse, er ist ihr Meister. Der Film begleitet ein Jahr lang diese zwei Menschen, die sich selbst und ein­ander gefunden haben, auf ihrem Weg radi­kaler Selbst­bestimmung.

www.artistandpervert.com

Kinostart: 30. Mai 2019


Alles wie immer, nichts wie immer

Venedig 2018

Sonne, Meer und aufgestellte Polohemdkragen. Gelato, Pasta und das Festivalzentrum der Internationalen Filmfestspiele Venedig mit seinem knallroten Container, der auf der ehemaligen Mafia-Baugrube steht, die einst ausgehoben wurde, um ein neues Zentrum zu bauen, dann aber voller illegalem Asbest war. Jetzt ist ein Rasen drüber. Problem gelöst. Drüber das Container-Kino. Alles gut. Alles ist wie immer.

Außer, dass sich nichts dieses Jahr so richtig „wie immer“ anfühlt. Genau das zeichnet ja schon das gesamte Jahr 2018 aus. Es ist ein Umbruch, ein Aufbruchsjahr in jedweder Hinsicht und das macht auch nicht vor Kunst und Kultur und großen A-Festivals halt. In Cannes spürte man es schon mächtig brodeln, brach er sich hier und da schon den Weg. In Venedig ist er nun ausgebrochen: der Kulturkampf. Gekämpft wird im Dunkeln des Kinos, aber auch draußen im Hellen. Und ein ums andere Mal fallen diese zwei Welten auch zusammen.


Haltungsfragen

Zeit, Verantwortung zu übernehmen

Ganz entgegen meines sonst gewohnt-gewöhnlichen Filmkritikerinnen-Daseins zwischen dunklem Kinosaal, stiller Schreibecke und der nächstgelegenen Kaffeezufuhrmöglichkeit habe ich dieses Jahr das Filmfest München völlig anders erlebt. Ich war im Hellen, denn eine Woche saß ich in der Kino-Zeit-Videobox im Gasteig, dem Zentrum des filmischen Vor-Ort-Wahnsinns, und habe eine Menge Interviews geführt.

Der Großteil dieser Interviews hatte folgende Parameter gemeinsam: Es waren stets die RegisseurInnen, mit denen ich sprach, und es handelte sich um neue Beiträge aus dem deutschen Kino. Viele, nicht alle, wurden in der deutschen Reihe uraufgeführt. Viele, nicht alle, waren eindeutig Vertreter von etwas, das ich als politisches Kino bezeichne. Und viele, aber nicht alle, verneinten meine Frage, ob ihr Film ein politischer ist, mal mehr, mal weniger vehement. Am Anfang war ich ein wenig verdutzt. Doch je häufiger ich hörte: „Nein, nein, mein Film ist nicht politisch! Ich will ja nicht predigen oder Leute überzeugen, ich will nur eine Geschichte erzählen“, desto mehr dachte ich, hier stimmt was nicht.


Hexenfiguren als Widerstand

Frauen wählen

Seit 100 Jahren dürfen Frauen in Deutschland wählen. Zu diesem Anlass wählen wir ein ganzes Jahr Frauen und Frauenfiguren, die uns beeindrucken, die sich aus den Zwängen (filmischer) Geschlechtergrenzen befreien. Wie die neuen Hexenfiguren, die uns wunderbar widerständige Frauen bescheren.

Ein Mann und seine Tochter stapfen durch einen schneebedeckten Wald in Norwegen. Sie gehen jagen. Das Kind ist vielleicht gerade einmal 6 Jahre alt. Es trägt einen roten Mantel. Die blonden Haare ragen unter der rosafarbenen Mütze hervor. Sein Vater, ganz dunkel gekleidet, trägt eine Waffe mit sich. Auf der Lichtung ein Reh. Die Waffe im Anschlag. Doch der Vater zielt nicht auf das Reh, sondern auf sein Kind. Er will es töten. Doch er kann nicht. Seine Tochter, die derweil auf das Tier geschaut hat, dreht sich zu ihm. Ihr Blick ist wissend. Sie hat keine Angst.


Video-Interview: Regisseur Jakob Lass

Filmfest München 2018: Jakob Lass, SOWAS VON DA

 

Nach LOVE STEAKS und TIGER GIRL hat Jakob Lass den Roman SOWAS VON DA von Tino Hanekamp über die letzte Nacht in einem Hamburger Club verfilmt – rasant, energiereich und ohne Rücksichten auf Chronologie oder Erzählfluss. Im Interview spricht er über seine Figuren, die immer Suchende sind, wie man improvisierte Szenen in einem engen Club dreht und darüber, ob er sich vorstellen kann, auch auf „klassische Art“ mit viel Budget einen Mainstream-Film zu drehen.

Das Interview wurde veröffentlicht auf Kino-Zeit.


Holocaust und Erinnerungspolitik in der BRD

Die lähmende Schuldfrage

Mit Leichtigkeit wird heutzutage von „der deutschen Filmgeschichte“ gesprochen und dabei negiert, dass Deutschland lange Zeit geteilt war. Unsere Jahresserie „Ost/West“ sucht in der Differenz der zwei Staaten nach den Unterschieden und Gemeinsamkeiten der Filmgeschichte(n).

Kein Thema prägt die deutschen Filmgeschichten beider Seiten so sehr wie ihre gemeinsame Vergangenheit. Das Nazi-Regime, der Zweite Weltkrieg und die dort begangenen Gräueltaten sind integraler Bestandteil der Selbstanschauung beider deutscher Staaten gewesen. Doch ein Thema sticht in deren filmischer Bearbeitung als großer neuralgischer Punkt hervor: der Holocaust. Sechs Millionen Juden wurden während des Zweiten Weltkrieges ermordet. Eine Zahl, die in ihrer Dimension bis heute dazu führt, dass diese Massenvernichtung als „unvorstellbar“ gilt und nur abstrakt vorstellbar ist. Außer natürlich man schafft Bilder und Geschichten für diese Abstraktion. Eine Aufgabe wie geschaffen für Film und Fernsehen. Wie die Medien beider Länder mit dieser Aufgabe umgingen, erkunden wir in einer zweiteiligen Reihe (Hier geht es zu Teil I).


Wir müssen aufhören, Katastrophen wie Actionfilme zu behandeln

"Medien schwingen sich auf Geschichten, die den Betroffenen keine Aufklärung, sondern nur noch mehr Leid bringen."

Es ist ziemlich eigenartig, was gerade passiert. Das erste Mal, dass ich so eine Dynamik mitbekam, war 9/11. Ein Unglück vor laufenden Kameras mit einer Live-Audience weltweit. Das Surreale dieser Momente—ich erinnere mich daran, wie oft Menschen das in der Zeit gesagt haben—war, dass es aussah wie ein Film. Ein Unglück, eine Katastrophe im Gewand eines Action-Films.

Aber jetzt ist es andersherum. Seit 9/11 scheint mir die Berichterstattung von Katastrophen jeglicher Art diesem Moment hinterherzulaufen und ihn obsessiv reproduzieren zu wollen. Es werden keine Nachrichten mehr gesendet, es wird ein Event (re)konstruiert. Eventkino. Action-Blockbuster. Live und in Farbe und auf allen Kanälen und zum Mitreden im sozialen Netz. Der interaktive, 24/7 Live-Blockbuster. Mit extra viel Drama und Krimi—schließlich können ja jetzt alle mitraten, wie es zu dieser Katastrophe, dem Todessinkflug des Germanwings-Flug 4U9525, kam.


"Ich bin keine frustrierte Ex-DDR-Bürgerin"

Regisseurin Annekatrin Hendel

 

In der DDR durfte Annekatrin Hendel nicht an die Filmschule – trotzdem widmet die Regisseurin ihre Filme nun dem Leben auf der Ostseite der Mauer. Und zeigt die DDR, wie sie selbst sie erlebt hat: voller Widersprüche.

„Dann leg ma’ los“, sagt Annekatrin Hendel mit breitem Berliner Akzent, lacht und zündet sich erst mal eine Zigarette an. Viel Zeit ist nicht, die Regisseurin ist mitten in den Vorbereitungen zum Kinostart ihres neuen Films „Familie Brasch“. Die Büroküche in einem Altbau in Prenzlauer Berg ist pragmatisch eingerichtet, der Tisch sieht aus wie ein ostdeutsches Erbstück und wackelt, wenn man sich aufstützt. Auf ihm ein Aschenbecher, ein absurd großes Feuerzeug und Film-Postkarten. Hendel lehnt lässig an der Wand und erzählt.


Der Hocker, auf dem das Bauhaus saß

Der Rowac-Schemel

Auf den ersten Blick scheint der Rowac-Hocker wie ein schlichtes, dreibeiniges Sitzmöbel. Einst war er jedoch ein Paradebeispiel für neues Industriedesign. Das macht ihn noch heute begehrt.

Dessau im Jahr 1926: Walter Gropius schreitet durch sein neu errichtetes Bauhaus. Ein paar wichtige Entscheidungen über das Interieur sind noch zu treffen. Vor allem die Lehrräume und die Werkstätten der zukünftigen Meisterschüler müssen noch ausgestattet werden. Keine einfache Sache, soll das Bauhaus doch zukünftig nicht nur als Ort, sondern auch als Beispiel für die hauseigene Philosophie der Funktionalität dienen. Nach langem Überlegen lässt Gropius daher große Teile der Einrichtung selbst herstellen. Nur in wenigen Fällen greift er auf existierende Möbel zurück. Für die zahlreichen Sitzgelegenheiten in den Lehrräumen und Werkstätten etwa wählt er die Hocker der Eisenwarenfabrik Robert Wagner aus Chemnitz, kurz Rowac. Und das aus gutem Grund.


Die Bilder kehren zurück

"Schindlers Liste" im Kino

Nach 25 Jahren kommt „Schindlers Liste“ wieder ins Kino. Der Film funktioniert noch immer – aber warum ist er bis heute die wirkmächtigste filmische Waffe gegen das Vergessen geblieben?

Ich bin jetzt sehr gespannt, wie der Film im Land der Glatzköpfe ankommt“, schreibt Billy Wilder nach seinem Kinobesuch von „Schindlers Liste“. Das Glatzkopf-Land ist Deutschland im Jahr 1994, das sich, kurz nach dem großen Umbruch angekommen in einer neuen geopolitischen Ära, auf dem irritablen Boden der Vergangenheit eine gemeinsame Zukunft suchen muss. Es ist das Land der Wiedervereinten und doch noch Getrennten, das Land der brennenden Flüchtlingsheime. Es ist aber auch das Land, das erstmals ohne den ideologischen Überbau des Kalten Krieges und mit Blick auf die neue rechte Gewalt seine Vergangenheit betrachten muss und feststellt, dass auch hier eine Ära endet. Der Großteil der Zeugen des Holocaust ist verstorben, das Erinnern wird mehr und mehr Teil eines kollektiven Gedächtnisses, das sich nicht mehr aus direkten Erfahrungen speisen kann.