Suspiria

Machttanz

Sechs Akte und einen Epilog verspricht Luca Guadagninos Suspiria gleich am Anfang des Filmes. Damit ist das Feld von Anfang an klar abgesteckt. Mögen die Spiele also beginnen. Wer Dario Argentos Original aus dem Jahr 1977 kennt, der weiß in Grundzügen, was auf ihn zukommt. Doch Guadagninos Werk ist sein ganz eigenes Ding, das immer auf die Vorlage rekurriert und doch daraus etwas ganz Neues und erstaunlich zeitgeistiges hervorbringt. AdTech Ad

Berlin im Jahr 1977: Susie Bannion (Dakota Johnson) entflieht ihrer streng gläubigen Familie nach dem Tod ihrer Mutter und kommt ins geteilte Berlin, um hier an der Tanzakademie Markos zu studieren. Sie hat keine Ausbildung für modernen Tanz, doch schon ihr erstes Vortanzen überzeugt die strengen Lehrerinnen, vor allem Madame Blanc (Tilda Swinton) sehr. Susie darf bleiben. Ein großes Glück, denn gerade ist ein Platz frei geworden. Patricia (Chloe Grace Moretz) ist verschwunden. Man sieht sie im ersten Akt des Filmes verwirrt und voller Angst ihrem Psychoanalytiker Dr. Jozef Klemperer (Lutz Ebersdorf/Tilda Swinton) von Hexen erzählen und dann verschwinden. In der Tanzakademie lernt Susie Sara (Mia Goth) kennen. Die beiden werden Zimmernachbarinnen und Freunde. Doch seltsame Dinge passieren. Olga (Elena Folkina), eine Tänzerin, erleidet einen Zusammenbruch bei den Proben, beschimpft Madame Blanc und wird nie wieder gesehen. Auch Patricia bleibt verschwunden. Doch Susie ist mehr daran interessiert, die Hauptrolle in einem Stück namens Volk einzuüben und getreue Schülerin von Madame Blanc zu werden.


Roma

Die offenen Wunden Mexikos

Cleos (Yalitza Aparicio) langes Haar bindet sie morgens zum Zopf zusammen, denn er stört bei der Hausarbeit. Cleo und Adela (Nancy García García) arbeiten im Haushalt eines Arztes und seiner Frau Señora Sofía (Marina de Tavira) sowie deren vier Kinder. Ein guter Job im Mexiko des Jahres 1970, das von Unruhen und Studentenaufständen erschüttert wird, die brutal vom Regime unter Präsident Luis Echeverría Álvarez niedergeschlagen werden. Doch Cleo hat für alles das weder Zeit noch Sinn, sie muss einen riesigen Haushalt aufrecht erhalten mit vier Kindern, die sie lieben, aber allen auf der Nase herumtanzen. Und dann ist da noch ihr ganz eigenes Problem: Cleo ist schwanger.

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Was sich normalerweise schon als problematisch herausstellt – eine Schwangerschaft ohne Ehemann – ist für Cleo noch um einiges gefährlicher. Als Teil der indigenen Bevölkerung und noch dazu bettelarm steht sie sowieso schon am Rande der Gesellschaft.; einzig das Geld und die Anstellung der Arztfamilie verschaffen ihr Sicherheit. Doch wie soll sie diesen Job behalten, wenn sie schwanger ist und der Vater des Kindes sie noch dazu sofort verlassen hat? Als Cleo ihr Problem Señora Sofía gesteht, ist sie sichtlich am Boden, denn schließlich weiß sie, dass ihre einzige Chance auf ein halbwegs würdevolles Leben nun dahin ist. Doch Sofía reagiert anders als gedacht, denn auch sie ist am Rande ihrer Möglichkeiten angekommen. Ihr Mann ist seit Monaten weg. Es heißt, er habe eine neue Geliebte. Den Unterhalt zahlt er auch nicht mehr. Und jetzt muss sie die Familie und vor allem die Fassade aufrecht erhalten, komme was da wolle. Genau deshalb kann sie auf Cleo nicht verzichten, die junge Frau hält nämlich, trotz ihrer nur geringen Stellung als Hausmädchen die Familie besser zusammen, als Señora Sofía es vermag. Und so rotten sich im Haus die Kinder und Frauen zusammen, während sich draussen vor der Tür die Männer gegenseitig umbringen.


Thelma

Satans jüngste Tochter wird erwachsen

„Thelma“ beginnt mit einer Prelude voll aufgeladener Bedeutung: Ein Vater und seine kleine Tochter gehen jagen. Im Wald ein Reh. Der Vater greift zur Flinte und zielt, seine Tochter steht neben ihm. Die Augen fixieren das Tier neugierig. Sie hat keine Angst, dem Sterben zuzusehen, keine Angst die Wahrheit von Leben und Tod, Macht und Ohnmacht zu erkennen. Und sie hat keine Angst vor dem Vater, der inzwischen die Waffe nicht mehr auf das Reh, sondern auf das Mädchen richtet.

Zehn Jahre später. Eine phänomenale Supertotale auf einen Platz in Oslo. Menschen wimmeln, die Musik ist sanft, aber leicht unangenehm. Es ist etwas Unheimliches in diesem Bild, etwas, das sich dieser Exposition noch entzieht, die es verorten, erkennen will. Der Zoom verrät schließlich die Quelle des leicht entrückten Schauderns: Thelma. Sie ist das Mädchen aus dem Wald, nun erwachsen und auf den ersten Blick eine schüchterne, junge Frau, die erstmals in der Großstadt unterwegs ist. Sie hat eben begonnen, an der Uni Biologie will zu studieren. Nichts scheint ungewöhnlich an ihr zu sein und doch ist da etwas Beunruhigendes. Etwas an Thelma stört, als ob in ihr eine leichte Phasenverschiebung zu Gange wäre, die man geradeso erahnen kann und sie doch nicht einzuordnen weiß. Thelma weiß das. Und ihre Eltern wissen es auch. Täglich rufen sie an, erwarten einen Tagesbericht, kontrollieren ihren Stundenplan online. Die Mutter übt ihre Kontrolle über Krankheit, Angst und emotionale Erpressung aus, der Vater über eine unausgesprochene Gesetzlichkeit, die ihm Macht verleiht. Ein leichter Akt, er hat eine ganze patriarchale Gesellschaftsstruktur auf seiner Seite, die ihm die Erlaubnis gibt, die Frauen seiner Familie zu kontrollieren. Außerdem ist er Arzt und hat damit Autorität und Mittel. Und zur Sicherheit hat er für Thelma ein weiteres Vater-Gesetz etabliert: die Familie ist äußerst christlich orthodox, der Vater der familieninterne Priester, der die Beichte verlangt, die Gesetze Gottes interpretiert und nutzt, wie er sie braucht. Unter dem Deckmäntelchen der Liebe und Fürsorge versteht sich. Eine heilige väterliche Dreifaltigkeit umgibt Thelma also. Doch nun ist sie erstmals aus dem Haus. Eine Chance zur Selbstentfaltung tut sich auf.

Doch „Thelma“ befreit sich von den Konditionen, die das Genrekino solchen Hexen-Frauen auferlegt. Die Figur weigert sich, zum Abjekt, zum Monster, zum Bösen, zu einer weiteren Carrie zu werden, welche sich moralisch schuldbar macht und so zu einer Form des „Anderen“ abgewertet und abgesondert werden kann. Denn solche Monster, solche „bösen Frauen“ sind es, die der Film und das Publikum zu bestrafen suchen und damit auch immer erfolgreich sind. Doch Thelma ist ein widerständiges, widerspenstiges Weib, das sich nicht den (Genre)-Regeln unterwirft, sondern ihre eigenen sucht. Im Gegensatz zu Carrie, die diesen Regeln vollends ausgeliefert war, besitzt Thelma eine mächtige Waffe: die Erkenntnis. Es ist einerseits ihr Bewusstsein, dass ihre Kräfte und ihre Geschichte eingebunden sind in Jahrhunderte und Generationen von Frauen, die widerständig, mächtig, eigenständig sind. So wir ihre Großmutter, die sie alsbald vom Vater sediert in einem Altersheim findet, denn auch sie hatte Kräfte. Thelma weiß, sie ist nicht allein, sie ist kein Monster, sondern eine weitere Verwirklichung weiblicher Macht, die seit Menschengedenken reguliert, verboten oder zerstört wurde. Und dies stets im Namen des Vaters, sei es der tatsächliche oder der metaphorische.


Rafiki

Ich bin, denn wir sind

Da steht Ziki. Ziki mit den bunten Haaren und den großen Augen. Ziki mit den schönen Lippen, über die das süßeste Lächeln huscht, vor allem wenn sie Kena sieht. Ziki und Kena – aus ihnen wird bald etwas werden: eine heimliche, eine erste, große, epische Liebe. Und eine versteckte Beziehung zweier junger Frauen in Kenias Hauptstadt Nairobi. Es ist ein zarter Anfang, der Beginn einer Selbstfindung, die im Verborgenen blüht, auf dem Dach eines rosafarbenen Hochhauses. Hier schwören sie sich, nicht die typischen kenianischen Frauen zu werden, die brav ihre Ehemänner ehren und Kinder großziehen. Hier oben, über der Stadt, sind sie frei: Ziki, die die Welt bereisen will, um allen zu zeigen, was es heißt, eine moderne Afrikanerin zu sein, und Kena, die nicht Krankenschwester werden wird, sondern verdammt nochmal Ärztin.

Aber unter ihnen, verankert auf dem Boden kenianischer Tatsachen, inszeniert Regisseurin Wanuri Kahiu in ihrem Film „Rafiki“ die Realität des gegenwärtigen Kenias. Hier nehmen die Väter der beiden jungen Frauen den Platz auf der Straße und der Öffentlichkeit ein. Die beiden Männer treten gerade im Wahlkampf gegeneinander an und kämpfen darum, wer den Stadtteil regieren wird. Und hier unten sind auch ihre Mütter, die die privaten Räume, die Wohnungen, besetzen und die man sonst nur in der Kirche sieht. Die Aufteilung der Räume in „Rafiki“ macht schnell klar, wie dieser Ort organisiert ist: ganz oben in der Hierarchie steht das Gesetz des Vaters (das psychoanalytische und das christliche), getragen durch die Männer und die Kirche als Phalanx der Macht. Dann kommen die Frauen. Zuerst die älteren, die sich dem Gesetz beugen, es tragen, verteidigen – und die helfen, die jüngeren in die „richtigen“ Bahnen zu lenken.


Ocean’s 8

Twitter-Bots mit Brüsten und ein Raubüberfall

Es ist „Ladies Night“ im lokalen Multiplex. Vor dem Film gibt es gegendertes Programm bestehend aus einem Gläschen Prosecco, der hier scheinbar nur in seiner natürlichen heterosexuellen Form – der laut kichernden Damenrunde – eingenommen werden darf, und leger am Eingang verteilten Frauenmagazinen. Titel: die neusten 200 „Must-Haves“ des Sommers. Das Publikum besteht fast ausschließlich aus größeren Frauengruppen. Hier und da ein paar einzelne Männer, die wohl in der Hoffnung gekommen waren, einen unterhaltsamen Film zu sehen und mit etwas Glück ein wenig erotischen Zugewinn zu erhalten. Diese Hoffnung teile ich mit ihnen. Denn der Film verspricht zwei Dinge: emanzipierte Frauenfiguren, die clever, kompetent und cool sind, und – wenn auch nur im Subtext – einen Film, der allein ob der Konstellation einer Gemeinschaft von Frauen, die zusammen einen Juwelenraub begehen, eine queere sexuelle Note mit sich bringt. Emanzipiert, wenigstens ein bisschen queer und sexuell? Haltet die Klappe und nehmt mein Geld!

Clever, kompetent und cool sind sie in der Tat, das muss man diesen Ocean’s 8 zugestehen. Es macht Spaß ihnen zuzuschauen, wie sie – alle Meisterinnen ihres Faches – diesen Juwelenraub planen und ausführen. Vor allem, wenn man das Subgenre des Heist-Films einmal genauer betrachtet. Raubzüge sind im Kino nämlich fast ausschließlich Männersache. Und wenn Frauen einmal ran dürfen, dann nur als kleine, oft dümmliche Gehilfinnen oder heillos überforderte und grandios scheiternde Amateurinnen.

Doch ein Film mit Frauen macht noch lange keinen feministischen Film, auch wenn „Ocean’s 8“ von Regisseur Gary Ross dieses Versprechen schon von Anfang an in seine Marketingkampagne einbaute. Letztendlich liefert er aber nur plakative Lippenbekenntnisse, hinter denen eher Ideen von Vermarktbarkeit als der Wunsch nach Emanzipation und Repräsentation stehen. Man darf nicht vergessen, dass Hollywood sich einen Dreck um bessere Repräsentation schert. Dass es „Ocean’s 8“ gibt, ist, genau wie übrigens die Existenz von Paul Feigs „Ghostbusters“ (2016), Ergebnis einer Marktstudie, die bestätigt hat, dass das Publikum jetzt auch mal Frauen sehen will. Lässt man Frauen also einfach Männerfiguren spielen, noch dazu in Remakes/Spin-Off/Sequels etc., dann muss man sich beim Drehbuchschreiben nicht mal Mühe geben.